Kontaktloses Training und Verbot von Präsenzveranstaltungen – der Taekwondo-Vollkontaktbereich wurde durch diese Einschränkungen hart getroffen. Wie geht die Szene damit um? Wir haben uns umgehört. Im Gespräch mit Björn Pistel – Top Team-Trainer „TG Nettetal“ & Sportwissenschaftler
Wie wirkt sich die lange Wettkampfpause auf die Leistungssportler raus?
Für die Leistungssportler war die plötzliche und erzwungene Pause ein harter Schnitt, eine Vollbremsung von 100 auf quasi 0. Mit dem längerfristigen Voranschreiten der Krise war klar, dass Turniere, insbesondere auf internationalem Parkett, in weite ungewisse Ferne gerückt sind und fest adjustierte Saison-Highlights abgesagt wurden. Deshalb fehlt den Athleten das Ziel, auf das sie hin- trainieren können, auf das sie ihren Fokus setzen, auf das sie hin fiebern. Damit ist es für die Sportler gerade motivational sehr schwierig geworden. Klar könnten sie im konditionellen oder individuellen Bereich weiter machen, aber die Frage steht immer im Raum: Für was, worauf bereite ich mich vor, wann geht es wieder los? Wichtig finde ich dabei den Fokus neu auszurichten, weg von der reinen Zielorientierung auf ein Turnierziel hin zu: Wie kann ich die Auszeit für mich individuellen optimal nutzen?
Welche Probleme gibt es konkret?
Das ist natürlich bei jedem Athleten ganz unterschiedlich. Gewicht und körperliche Fitness sollte jeder Leistungssportler selbstbestimmt im Griff habe. Zu einem Athleten mit Leistungssportanspruch gehört dies im Taekwondo immanent dazu. Klar ist es in einer solchen Ausnahmesituation schwieriger und erfordert mehr Disziplin als gewohnt – aber auch das ist eine Erfahrung. Zumal die Leistungssportler auch in der Corona-Krise im engen Austausch mit ihren Heimtrainern stehen, die spezielle Trainingspläne für sie gestaltet haben, zumindest ist dies bei uns so gewesen. Bei den Jugendlichen ist dies etwas schwieriger. Aufgrund ihrer Entwicklung wird ihnen eine gewisse Phase einfach fehlen und viele werden in einer anderen Gewichtsklasse und Altersklasse aus der Krise kommen.
Gibt es auch Pluspunkte?
Als einen klaren Pluspunkt empfinde ich, dass Athleten wie auch die Trainer eine absolute Auszeit von diesem verrückten Taekwondo-Zirkus bekommen haben. Eine Pause die es sonst nur selten und wenn, nur sehr kurz, gibt. In einer solchen Pause merkt man, dass das gesamte Turnierwesen überreizt ist, gerade im Leistungs-Taekwondo.
https://youtu.be/sNPh2VsDmtk
Wie hältst Du die Motivation Deiner Sportler hoch?
Wie eben schon einmal angedeutet, indem wir die Pause nutzen, den Sportlern auch mal eine Auszeit gönnen und den Fokus dann auf etwas anderes zu lenken. Den Spaß am Sport und seinen vielen Facetten wieder erleben lassen, ohne den Stress der absoluten Fitness für das nächste Top-Event im Nacken zu haben. Die Zeit nutzen, um an den individuellen Stärken weiter zu arbeiten und für die Dinge, die im Turnieralltag häufig zu kurz kommen. Das Positive an dieser Situation herausstellen ist für mich auch der wichtigste Punkt, um die Athleten zu motivieren.
Wie haltet Ihr die körperliche Fitness Eurer Sportler hoch?
Da wir ja nie eine Ausgangssperre hatten, war das Grundlagen-, Intervall-, und Krafttraining natürlich jederzeit möglich. Seit einigen Wochen auch wieder das Taekwondo-Training entsprechend der Lockerungen. Daher war das Training der allgemeinen Fitness nach meinem Ermessen kein Problem. Die individuelle Fitness, die die Athleten für die Wettkämpfe benötigen, werden wir wieder angehen, wenn klar ist, wann es wieder mit den Turnieren weiter geht. Ich muss zum jetzigen Zeitpunkt einen Athleten nicht ans Limit treiben und verschleißen ohne ein Ziel in Aussicht zu haben. Da schone ich lieber in einer solchen Phase die Ressourcen meiner Athleten und gebe wieder mit voller Motivation Gas, wenn es Sinn macht.
Nach den Sommerferien soll es nach und nach die ersten Turniere geben. Wie plant Ihr den Wiedereinstieg?
Bis dato sehe ich noch nicht, dass die Turniere wieder starten, vor allem nicht auf internationaler Ebene. Denn selbst wenn wir in Europa schon sehr weit sind, liegt Nord- und Südamerika noch im absoluten Bann des Coronavirus. Das heißt, auch in Europa können keine Turniere stattfinden die Punkte für die Welt- und Olympiarangliste bringen, das wäre meine Meinung Wettbewerbsverzerrung. Daher plane ich absolut auf Sicht. Deshalb arbeite ich mit meinen Sportlern viel an den Grundlagen und dem Individuellen technisch-taktischen Bereich. Der Fokus liegt auf besser werden, das härter werden für den Wettkampf kommt dann wieder, wenn es die Situation hergibt. Sollte im Herbst eine zweite Welle kommen, was ich nicht hoffe, dann sind sowieso alle Spekulationen hinfällig.
Was denkst Du: Wird sich die Leistungssportszene durch Corona langfristig ändern?
Meiner Meinung nach ist es wichtig, nach einer Krise die richtigen Fragen zu stellen. Was kann ich aus einer Krise lernen, wie kann ich eine erneute Krise vermeiden, wie gehe ich bei einer erneuten Krise damit um? Leider zeigt sich nach einer Krise oft das Szenario, das die Menschen schnell vergessen und zum Alltag zurück kehren – Business as usaul. Aber da ich ein positiv denkender Mensch bin, hoffe ich, dass wir für uns einige Dinge aus der Corona Krise mitnehmen und für die Zukunft daraus lernen. Taekwondo Aktuell 08/2020